Verlauf der Alkoholabhängigkeit und Genesung bei Betroffenen und Angehörigen
In dieser Tabelle wird eine komplizierte Entwicklung, die sich über Jahre hinzieht, in stark vereinfachter Form dargestellt. Die verschiedenen Schritte müssen nicht unbedingt in der beschriebenen Reihenfolge ablaufen, auch müssen nicht alle Punkte auftreten. Ein Ausstieg ist an jedem Punkt möglich! Es soll damit deutlich gemachr werden, dass eine Abhängigkeit nicht nur auf den einzelnen beschränkt bleibt, sondern auch die Beziehungen zueinander betroffen sind. Unterschiedliche Verhaltensweisen können sich ergänzen und verstärken oder aber auch blockieren.
Das Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander zwischen den mitbetroffenen Angehörigen und dem Abhängigen soll hier deutlich werden. Unter "Mitbetroffene" sind Eltern, Ehepartner, Kinder, Freunde, Kollegen und Vorgesetzte, also das gesamte soziale Umfeld zu verstehen. Der Angehörige kann erst dann hilfreich wirken, wenn er sich nicht mehr nach aussen krampfhaft um Harmonie und Ausgleich bemüht, sondern als selbstständige Person handelt. Erst bei Eintritt der Abstinenz und dem Ausstieg aus der "Co-Abhängigkeit" des Mitbetroffenen ist eine beiderseitige positive Persönlichkeitsentwicklung möglich. Diese Entwicklung verläuft bei beiden unterschiedlich.
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Abhängiger |
Mitbetroffener |
Gelegentliches, aber zunehmendes Erleichterungstrinken | Erste Ahnungen, dass der Partner anders trinkt |
In Gesellschaft oft unterhaltend, spritzig, charmant | Problematischer Umgang mit Alkohol ist hin und wieder Gesprächsthema |
Regelmässiges Trinken und Steigerung der Trinkmenge | Ermahnungen, sich doch bitte zusammenzunehmen werden vom Partner als Nörgelei und Kritiksucht abgetan |
Vorsätze mit dem Trinken aufzuhören oder es noch besser zu kontrollieren werden häufiger gebrochen | Übernahme von Verantwortung bei alkoholbedingten Schwierigkeiten |
Schamgefühle, weil man versagt hat, die Schuld dafür wird bei anderen gesucht | Entschuldigungen und Ausreden für den Partner |
Leugnen von exzessivem Trinken | Gespräche über Alkohol werden durch Kritik und Missachtung zunehmend vergiftet |
Erste Erinnerungslücken treten auf | Zweifel an der eigenen Beobachtungsgabe |
Häufiger Stimmungswandel | Unsicherheit in der Beurteilung des Partners |
Unberechenbare Grosszügigkeit | Gefühl der Angst und Spannung vor unerwarteten Ereignissen steigt |
Vermeiden von Gesprächen über Alkohol | |
Finden von Entschuldigungen für Versagen | Zeitweise Hoffnung, dass bald alles wieder so sein wird wie früher |
Zunehmende Unzuverlässigkeit | Verstärkte Hilfeversuche |
Verlust von Interessen | Tiefe Mutlosigkeit und Ohnmachtgefühle bei Rückfällen |
Gedanken kreisen häufiger um den Alkohol | |
Allgemeine Vernachlässigung bei der Ernährung, Kleidung und Hygiene | Körperliche und psychische Beschwerden nehmen zu, u.U. verbunden mit Missbrauch von Beruhigungs- und Schlafmitteln |
Aggressives Verhalten gegen Partner/Kinder | Todeswünsche, (Wenn er/sie doch nur mal gegen einen Baum rasen würde) |
Suchen neuer Trinkpartner | Tiefe Verzweiflung, Resignation |
Flucht vor Gesprächen über Alkohol | Drohungen, ohne die Konsequenz zu ziehen |
Serviles Verhalten am Arbeitsplatz | Absagen aller sozialen Anlässe, zunehmende familiäre Isolation |
Geldsorgen, dennoch spontane, überdimensionierte Geschenke für den Partner oder die Kinder, um Aggressionen vorzubeugen | Zuteilen von Alkoholrationen und Ausgiessen voller Flaschen |
Zunehmende Schwierigkeiten am Arbeitsplatz | Angst vor Aggressionen |
Führerscheinverlust | Geldsorgen |
Zunehmende Wesensveränderung | |
Die Alkoholalibis und die Erklärungssysteme brechen zusammen | Erkennen, dass man die Probleme des Partners nicht lösen kann |
Die Machtlosigkeit gegenüber dem Alkohol wird geahnt und schliesslich zugegeben | Erste Versuche, wieder eine selbstständig handelnde Person zu werden |
Die vollständige Niederlage wird zugegeben | Aufsuchen und Annehmen von Hilfeangeboten |
Zusammenbruch |
Rehabilitation |
Besuch einer Gruppe/Beratungsstelle | Keiner versteht, dass man noch zu dem Abhängigen steht |
Beginn der Abstinenz, Einleitung von Therapiemassnahmen | Abwartende Haltung, Trennungsgedanken halten an |
Das richtige Denken beginnt wieder, es besteht der erklärte Wunsch nach Hilfe | Zweifel am Therapieerfolg, Eifersucht auf den Therapeuten |
Beginn neuer Hoffnung, Aufarbeiten von Defiziten, Bestandsaufnahme | Spannung lässt nicht nach |
Anschluss an eine Selbsthilfegruppe | Suche nach Ansprechpartnern |
Möglichkeit der neuen Lebensweise wird erkannt | Gruppenbesuch ohne Überzeugung |
Zukunftsangst nimmt ab | Erkennen der eigenen Rolle |
Gefährdung durch mangelnde Gemeinsamkeit der Partner | Misstrauen zum Partner, der eigene Umgang mit Alkohol wird zum Problem |
Selbstachtung kehrt langsam zurück | Lob für Abstinenzleistung des Partners wird als eigene Kränkung empfunden |
Einstellung auf die Bedürfnisse der Familie/Partner | Anerkennung für Durchgestandenes wird erwartet |
Positives Körpergefühl, natürliche Entspannung und Schlaf | Kompetenzschwierigkeiten in der Familie über neue Rollenverteilung |
Kreis beständiger Freundschaften bildet sich | Seelischer/körperlicher Zusammenbruch sind möglich |
Verantwortung wird wieder übernommen Ideale entstehen neu | Aggressivität gegenüber dem Partner, der (wieder) mehr und mehr selbstständig wird |
Schritte zur wirtschaftlichen Stabilisierung werden unternommen | Bemerken, dass die Stimmungslage der Familie nicht unbedingt dem Alkoholabhängigen unterworfen sein muss |
Zufriedene alkoholfreie Lebensweise öffnet den Weg zu einem sinnvollen, erfülltem Leben. Es führt über die früheren Möglichkeiten hinaus.
Die dargestellte Tabelle zeigt als positive Lösung eine neue gemeinsame Lebensform als Ziel der Familien- und Entwöhnungsbehandlung. Andere Wege sind denkbar und möglich. |
© U.M.Matthees/Alkohol